Der nackte Körper – bis ins 20. Jahrhundert sind klassische, biblische oder literarische Bildthemen die einzige Möglichkeit für Künstler:innen dem Studium der Proportionen nachzugehen, ohne mit gesellschaftlichen oder moralischen Vorstellungen zu brechen. Dabei werden den Geschlechtern klare Rollen zugeteilt: der maskuline Körper als aktiver und heroischer Teil und Frauen als passiver und verletzlicher Teil der Bildszene.
Allein dadurch, dass sie den nackten Körper im persönlichen Umfeld zeigen, brechen die Künstler:innen des beginnenden 20. Jahrhunderts mit den überlieferten Vorstellungen. Neue Themen sind Intimität, Begehren und Natürlichkeit.
Völlig auf sich konzentriert geben sich die beiden ihrem Begehren hin. In Rodins Skulptur „Der Kuss“ sind Erotik und Idealismus vereint. Sie ist zum Inbegriff der körperlichen Liebe geworden. Nicht sichtbar ist die nahende Tragik der Erzählung, denn es ist eine Szene aus der Hölle. Als Teil von „Die Göttliche Komödie“ des italienischen Schriftstellers Dante Alighieris (14. Jh.) endet die Leidenschaft im Tod. Eifersüchtig bringt der betrogene Ehemann beide um. Was wiegt damals wie heute bei dem Kunstwerk schwerer: Das Darstellen von Sinnlichkeit oder der moralische Fingerzeig?
Als Künstler wie als Mensch kommt es darauf an, bewegt zu sein, zu lieben, zu hoffen, zu schauen und zu leben.
(Auguste Rodin)
Frauen beim Waschen, Baden, Abtrocknen – Die Frau scheint sich des Blicks der Betrachtenden nicht bewusst, als würde sie heimlich durch ein Schlüsselloch beobachtet. Edgar Degas beschäftigt sich in seiner späten Karriere mit dem weiblichen Akt und dieser Perspektive.
Dieses Pastell ist dabei besonders fein ausgeführt. Es gehört zu einer Serie, die 1886 in einer Ausstellung impressionistischer Maler in Paris gezeigt wird. Manche Kritiker loben damals, dass Degas glaubwürdige, moderne Frauen darstellt. Andere beklagen sich über die Hässlichkeit der Modelle und unterstellen, sie seien Prostituierte. In diesem Pastell gibt es jedoch keine Hinweise auf das Umfeld der Frau. Welcher Argumentation folgst du?
Badeszenen sind alltäglich und zugleich sehr privat. In ihrem Zuhause scheinen die Frauen die Welt um sie herum zu vergessen. Bei Edgar Degas erhaschen wir einen sinnlichen Moment. Diese Komponente fehlt bei Pierre Bonnard. Er malt seine Frau Marthe irritierend reglos in der Wanne. Vielleicht spielt er auf die Wassertherapie an, die ihr gegen ihre Tuberkuloseerkrankung empfohlen worden ist. Wie fühlt es sich an, Fremden beim Baden zuzuschauen?
Die „Brücke“-Künstler interessieren sich stark für Aktmalerei. Ihr Ziel ist es, den nackten Körper in der Natur zu studieren. Denn sie lehnen die traditionelle akademische Kunst mit gestellten Posen ab. Stattdessen beschreiben sie den Wunsch nach dem Einfachen, Unverbrauchten und Natürlichen. Dies erfassen sie etwa mit dunklen Konturlinien und einer flächigen, geschlossenen Malweise. Heute genießen wir die Lebensfreude der Bilder, finden zugleich in ihnen Klischees und hadern bislang mit der Frage, ob unser Zuschauen nicht doch unerwünscht sein könnte. Sensibilisiert wird die Diskussion unter anderem durch Themen wie das Verhältnis zu Kindermodellen oder die stereotype Wiedergabe von Sinti:zze und Rom:nja.
Formale Experimente dominieren den Akt in der Moderne. Da die Bildthemen nicht mehr an historische oder erzählerische Kontexte gebunden sind, haben die Künstler:innen die Freiheit, den nackten Körper in verschiedenen, abstrakten Formen zu erforschen. Aber wie abstrakt darf ein Akt sein, damit er noch als solcher erkannt wird?
„Ich plädiere für einen Sinn für Form... ich suche nach einem intensiveren Ausdruck... wo ich eine naturalistische Form verwende, habe ich sie von allem Unwichtigen befreit."
(David Bomberg)
Picasso bricht mit den klassischen Perspektiven der Renaissance. Indem er den Körper der Frau in geometrische Formen teilt, schafft er es mehrere Blickwinkel gleichzeitig einzufangen, die sonst nicht möglich wären. Das Gesicht der Frau, die seine Muse Marie-Thérèse Walter darstellt, verbirgt eine Dopplung: Die rechte Gesichtshälfte kann sowohl ihr zugeordnet werden, als auch ihrem Liebhaber, der sie auf die Lippen küsst.
Der realistische Akt zeigt die Dargestellten oft sehr präsent und authentisch. Im Vergleich zum oft idealisierten historischen Akt oder zum modernen Akt, der häufig abstrakter und experimenteller ist, bildet der realistische Akt den Menschen wie im echten Leben ab.
William Coldstream will in seinen Arbeiten den unbekleideten Körper objektiv erfassen. Dies zeigt sich vielleicht am stärksten in den roten Punkten, die seine Vermessung des Körpers dokumentieren. Zugleich sind sie aktive Teile des Gemäldes geworden. Viele Gemälde von ihm bleiben unvollendet, vielleicht, weil er die beabsichtigte Perfektion kaum erreichen kann.
„Wenn ich mir einen Körper ansehe, weiß ich, dass er mir die Wahl lässt, was ich in ein Bild einfügen kann; was mir gefällt und was nicht. Es gibt einen Unterschied zwischen Tatsache und Wahrheit. Wahrheit hat ein Element der Offenbarung. Wenn etwas wahr ist, dann ist es mehr, als wenn es nur so aussieht.“
(Lucian Freud)
Der Bogenschütze Teucer scheint der Inbegriff von Männlichkeit zu sein. Er ist ein muskulöser Supermann, voll konzentriert und scheinbar unverwundbar.
Die fleischliche und physische Natur des Körpers, also seine Materialität mit Haut, Muskeln und Gewebe, berichtet von vielen Aspekten menschlichen Lebens.
George Jules Taylor entspannt sich unbekleidet auf dem Sofa. Seine lockere Coolness lässt seine Nacktheit fast unauffällig erscheinen. Sein Kinn ist beim Rauchen erhoben und sein Blick aufmerksam. Erlaubt uns seine Haltung, sich ihm unverkrampft zu nähern oder provoziert er mit dieser Pose?
Barkley L. Hendricks’ Porträts von Jules verkörpern seit den 1970er Jahren Würde, Stolz und das Selbstbewusstsein von People of Colour. Zeitgleich bietet die Kunstwelt mehr Ausstellungs- und Förderungsmöglichkeiten für People of Colour.
Bei Francis Bacon zerfließt die Figur zu einer organischen Masse.
Trotz der liegenden Frau im Titel „Reclining Woman“ scheint Bacon zunächst einen Mann gemalt zu haben. Seine Genitalien sind nur mit einer dünnen Farbschicht übermalt. Ungewöhnlich ist auch, dass er die Figur ausgeschnitten und auf diesen Hintergrund geklebt hat.
Kunst ist politisch. Sie ist ein Spiegel ihrer Zeit. Und während in der Vergangenheit Kunstwerke oft nur Frauen zeigen und diese häufig unbekleidet sowie von Männern für Männer gemalt sind, so emanzipiert sich die Kunst seit den 1970er Jahren. Mit dem Aufstieg des Feminismus findet eine offene politische Auseinandersetzung mit der Nacktheit statt, die sexuelle und rassistische Stereotypen in Frage stellt – die Rollen werden neu ausgehandelt.
"Warum hat es keine großen Künstlerinnen gegeben?"
(Linda Nochlin)
Zanele Muholis künstlerischer Fokus liegt auf der LGBTQI+ Gemeinschaft in Südafrika. Die intimen und zum größten Teil anonymen Porträts der (Trans-)Frauen sind Dokumentationen aus der Community.
Nach den idealisierten Körpern in der klassischen Antike gilt im Mittelalter die realistische Darstellung des unbekleideten Menschen im Alltag als Sünde. Dennoch zeigt die christliche Kirche zum Beispiel mit der Nacktheit bei Christus am Kreuz oder Adam und Eva eindringlich die Verwundbarkeit des Menschen. Das Thema des verletzlichen Körpers ist bis heute in der Kunst aktuell, stellt nun jedoch vielschichtige gesellschaftliche Ängste dar.
Wir blicken von oben herab auf die in einer Ecke gekauerte nackte Frau. Der Raum ist karg, der Bildausschnitt eng, die Szene beunruhigend. Das Selbstporträt von Tracey Emin löst Schutzinstinkte aus. Wir fragen uns: Was ist passiert?
Der Titel „The Last Thing I Said to You was Don’t Leave Me Here II“ öffnet weitere Deutungsebenen. Obwohl Künstler:innen beim Selbstporträt meist die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und Werten suchen, bleibt hier das Gefühl, dass dabei auch die Fremdsicht entlarvt wird.
Tracey Emin erforscht die eigene Biografie, angefangen bei ihrer Kindheit. Während diese Offenheit für viele unangenehm sein mag, sucht Tracey Emin Zuflucht in der Kunst, um diese Traumata zu verarbeiten.
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