Der moderne Akt

Als sich der moderne Akt als eigenständiges Genre etablierte, konnte er auf einen erzählerischen oder historischen Kontext verzichten. Dadurch wurde die Darstellung der nackten Form zunehmend zum Medium für formale Experimente, mit denen neuartige Konzepte für die Beobachtung und Wiedergabe des menschlichen Körpers erforscht wurden. Anstatt vorrangig das Sichtbare nachzuahmen, befassten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Stilrichtungen wie der Kubismus, Expressionismus, Futurismus und Vortizismus mit der Erforschung von neuen Darstellungsformen. Sie sahen eine Verbindung zwischen der von ihnen praktizierten Abstraktion und Vereinfachung der Figur und den damals als ‚primitive‘ Kunst bezeichneten skulpturalen Werken vorklassischer und außereuropäischer Kulturen. Die Kunstströmungen der Moderne erforschten anhand von Akten die Idee von unterschiedlichen Perspektiven, die emotionale Wirkung von Farben und die Reduzierung der menschlichen Figur auf geometrische Komponenten.

Das Bild entstand in Cornwall, wo Grace Pailthorpe und ihr Lebensgefährte, der Maler Reuben Mednikoff, ab 1935 lebten. Es zeigt einen Fötus, der im Mutterleib Nahrung aufnimmt. Der Bildträger ist durch eine geschwungene Linie horizontal in zwei Hälften geteilt. Im unteren Bereich sieht man ein blaues Becken oder eine Fläche, darauf ein rosafarbenes, stark vereinfacht dargestelltes Baby, an dessen Hals man einen Wasserhahn erkennt. Mit weit geöffnetem Mund trinkt es eine nährende Flüssigkeit, die unten aus einer ebenfalls stark vereinfachten, stehenden grünen Figur mit Hängebrüsten hervorspritzt.

Die Art und Weise, wie David Bomberg die menschliche Figur auf eine Reihe geometrischer Formen reduziert, spiegelt seine Faszination für das Maschinenzeitalter wider, die er mit den Futurist:innen und den vom Futurismus und Kubismus beeinflussten britischen Vortizist:innen teilte. Offiziell schloss er sich jedoch keiner der beiden Strömungen an. Dieses Gemälde stellt ebenfalls die auf wenige Kernelemente reduzierte menschliche Form dar.
In „The Mud Bath“ sieht man das russische Dampfbad in Whitechapel, das der jüdischen Gemeinde Londons nicht nur zur Körperpflege und rituellen Reinigung, sondern auch zur Geselligkeit diente. Das Becken stellt der Künstler als rotes Rechteck dar, in das vereinfachte geometrische blaue und weiße Figuren hinein- und herausspringen. Das Gemälde ist wohl Bombergs eindringlichster Versuch, Darstellungen des zeitgenössischen urbanen Lebens mit dem Streben nach der reinen Form zu kombinieren.

Bewegung, insbesondere sportliche Aktivitäten, boten den Künstler:innen der Moderne attraktive Motive. Sie hatten den Anspruch, komplexe Bewegungsabläufe in eine einfache künstlerische Form zu überführen. In Willi Baumeisters Œuvre verdeutlichen zwei Serien von ‚Sportlerbildern‘ die Faszination, die Sport, Bewegung und Körperlichkeit auf ihn ausübten. Mit abstrakten Formen und vereinfachten Linien bildete er Tennisspieler, Läufer, Radfahrer, Turner, Fußballer und Schwimmer beiderlei Geschlechts ab. In „Schwimmer an der Leiter“ verwendete er ein Farbschema aus verschiedenen Formen und Konturen, um die Bewegung der Schwimmer:innen an der Leiter auszudrücken.

Obwohl Man Ray vor allem als Fotograf bekannt ist, schuf er in den 1930er-Jahren mehrere surrealistische Gemälde. „Die Frau und ihr Fisch“ basiert auf einem Bild aus „Les Mains libres“ (Freie Hände), einer Reihe an Zeichnungen, die er 1937 mit Gedichten des Schriftstellers Paul Éluard veröffentlichte.
In diesem Gemälde von 1938 liegt ein weiblicher Akt ausgestreckt neben einer Makrele. Damit schuf Man Ray das, was er selbst eine „Gegenüberstellung ähnlicher und zugleich verschiedener Formen“ nannte. Die beiden Figuren bilden eindeutig ein Paar, unterscheiden sich jedoch in der Malweise. Durch die Reduzierung der Frau auf eine schematische lineare Form, während der Fisch in illusionistischem Detail wiedergegeben wird, entstehen zwei Parallelwelten auf einer Leinwand. Man Ray stärkte die Identifikation zwischen Frau und Fisch, indem er als englischen Titel „Pisces“, das Sternzeichen der gepaarten Fische, wählte.