Der politische Akt

In den 1970er-Jahren begann eine offenkundig politische Auseinandersetzung mit dem Akt, die das Aufkommen des Feminismus und die Hinterfragung sexueller und ethnischer Stereotype widerspiegelt. Frühere Traditionen, in denen männliche Künstler weibliche Akte darstellten, wurden von Künstlerinnen wie Alice Neel und Sylvia Sleigh infrage gestellt, die diese Machtverhältnisse in ihren eigenen Darstellungen weiblicher und männlicher Körper unterliefen. Anstatt lediglich Formen abzubilden, thematisierte Neel in ihren freizügigen Nacktporträts aktiv die Subjektivität des Modells, während Sleighs Akte das Paradigma des männlichen Blicks herausforderten, indem sie Männerkörper in genau den erotischen Posen, die im Rahmen der ‚Odalisken‘-Tradition häufiger den weiblichen Akten zugeordnet waren, malte. Die Porträtierten sind weder bei Neel noch bei Sleigh anonyme Personen, denn beide Künstlerinnen bauten beim Malen eine persönliche Beziehung zu ihren Modellen auf. Sie vertraten die Ansicht, dass die Begegnung zwischen Modell und Künstler:in nicht mit einem einseitigen, dominierenden Blick verbunden sein muss.

Sylvia Sleigh war in den 1970er-Jahren eine der Hauptakteurinnen der feministischen Kunstszene in New York. Sie schuf eine Serie männlicher Akte mit direkten Verweisen auf die Posen der ‚klassischen‘ weiblichen Aktbilder von Ingres, Velázquez und Modigliani. Indem sie Frauen durch Männer ersetzte, versuchte sie, die Darstellung von Geschlecht und Sexualität infrage zu stellen und Machtverhältnisse zu untergraben, die mit traditionellen Darstellungen von Nacktheit verbunden sind.
Die Künstlerin erforschte die Dynamik des weiblichen Begehrens und stellte Paul Rosano als männliche ‚Odaliske‘ dar. Die Wölbungen und das leuchtende Rosa der Steppdecke, auf der er liegt, betonen den erotischen Charakter seiner Pose, die seine Genitalien vollständig entblößt. Ein intensiver Realismus und der betont individuelle Charakter ihrer Modelle gehörten zu Sleighs Strategie, bestehende Konventionen zu durchbrechen. Sie malte Rosano mit einer großer Detailtreue, die sein unregelmäßig verteiltes Körperhaar und die unterschiedlichen Schattierungen seiner ungleichmäßig gebräunten Haut unterstreicht.

Die US-amerikanische Multimediakünstlerin Hannah Wilke brach durch die Entblößung ihres Körpers mit den gesellschaftlichen Konventionen, um die Objektifizierung von Frauen anzusprechen. Wilke hatte in den 1970er-Jahren ein schwieriges Verhältnis zur feministischen Bewegung, da sie in ihren Arbeiten ihren nackten Körper konfrontativ verwendete und eine kompromisslos glamouröse Selbstdarstellung vertrat, die viele als Narzissmus betrachteten. Ihre Selbstporträts ähnelten eher „Playboy“-Centerfolds als typisch feministischen Aktbildern. „Marxismus und Kunst“ entstand im Rahmen eines Projekts des Center for Feminist Art Historical Studies als Reaktion auf diese kritischen Stimmen. Wilke legt dar, dass ein Feminismus, der vorschreibt, wie eine Frau auszusehen oder sich zu verhalten hat, ebenso schädlich ist wie die objektivierenden Werte, die der Feminismus zu beseitigen versucht.

People of Color, Schwarze Künstler:innen und Kunstwerke, die diese zeigen, stellen bis heute eine Minderheit in den großen Museen weltweit dar. Es gab sie zwar schon immer – Künstler:innen, Kurator:innen und Sammler:innen –, aber sie wurden nicht wahrgenommen, ihre Kunst wurde als ‚unzivilisiert‘ und ‚unästhetisch‘ diskriminiert. Über viele Jahrhunderte hinweg wurden nur wenig positive Bilder gezeigt, geschweige denn die Arbeiten von der Kunstgeschichtsschreibung so wahrgenommen, dass sie es in Ausstellungen oder den zeitgenössischen Diskurs schafften. Eine selektive, rassistische Diskriminierung schloss Schwarze Kunst vom Mainstream aus und bot ihr keine Bühne.

Ihre Werke setzten sich mit der eigenen Geschichte auseinander und griffen mutig gesellschaftliche, historische Themen des Rassismus und der Diskriminierung auf. Die Kunst brachte das ans Licht, was oft im Verborgenen blieb. In einer Zeit, in der es immer noch nicht gerne gesehen war, wenn People of Color direkten Blickkontakt mit W e i ß e n aufnahmen, und institutioneller Rassismus zur Tagesordnung gehörte, malten Künstler:innen Schwarze Akte, die den Betrachter:innen direkt in die Augen schauten.

Durch ihren Mut entstanden neue Positionen, die sich bis heute über die gesellschaftlichen Normen erheben, mit ihnen brechen und neue Ansätze schaffen. Sie schärfen unseren Blick und unsere Wahrnehmung dafür, wie viel Arbeit noch vor uns liegt, um ein offenes, diverses Weltbild zu entwickeln.

Dieses schwarz-weiße Selbstporträt gehört zu einer ganzen Gruppe von Fotografien im Besitz der Tate, die Teil der fortlaufenden Serie „Somnyama Ngonyama“ (Gegrüßet seist du, dunkle Löwin) sind. Darin bildet sich Zanele Muholi selbst in einer Vielzahl von Rollen mit einer Reihe von Requisiten und Schmuck vor unterschiedlichen Hintergründen ab.
Als Fotograf:in und nach eigenen Worten „Aktivist:in des Visuellen“ konzentriert sich Muholi auf die Lebenswelt der Schwarzen LGBTQI+ Community in Südafrika. In Fotoserien ist dies in Form intimer, meist anonymer Nahaufnahmen von Frauenkörpern und durch Porträts Schwarzer Lesben und Transfrauen realisiert, begleitet von Zeug:innenaussagen aus erster Hand, die die individuellen Erfahrungen der Teilnehmer:innen dokumentieren. In „Somnyama Ngonyama“ spricht Muholi zwar weiterhin gesellschaftspolitische Themen mithilfe von Porträts an, doch dieses Werk ist autobiografischer und tagebuchartiger als frühere Projekte.

„Beinstuhl (Zigaretten)“ von 2014 ist einer von zehn Acrylstühlen, die Anthea Hamilton 2009 auf der Grundlage ihres eigenen Körpers begann. Diese Version des Stuhls besteht aus einem Metallgestell und einem Sitz, flankiert von zwei Beinen aus schwarzem Acryl, die jenen der Künstlerin nachempfunden sind. Die Beine stehen schräg und berühren den Boden nur mit den ‚Zehen‘, so als säße jemand auf dem Stuhl und schaute die Betrachtenden direkt an. Die darunter angebrachten Stützen sind zwei überdimensionalen Zigaretten nachempfunden.